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Im besten Netzwerk der Welt, dem Texttreff, wird jedes Jahr bloggewichtelt. Diesmal hat mir Anne Webert vom Blog Annes Topfgeflüster ein paar Hühner mitgebracht bzw. spannende Einsichten in deren Lebenswelt. Anne Webert kocht und backt mit Leidenschaft und schreibt als Journalistin über Ernährung, Genuss, Kulinarik und Biodiversität.
Viel Spaß mit den wilden Hühnern in Bild und Text. Und natürlich: Herzlichen Dank, liebe Anne! 

Hühnerflucht; Grafik: Anne Webert

Der Tag des Huhnes beginnt früh. Also jedenfalls bei normalen Hühnern. Und was ich so weiß. Unsere sind Langschläfer – da muss die Sonne schon ein ordentliches Stück zurückgelegt haben, bis die beiden den Stall verlassen und ihren Rundgang im Garten beginnen. Vielleicht liegt es am fehlenden Hahn, vielleicht an der gechillten Umgebung oder der All-you-can-eat-Versorgung. Immer sind die beiden gemeinsam unterwegs, immer in unmittelbarer Nähe zueinander. Nur so fühlen sie sich sicher, nur so sind alle seismographischen Antennen gebündelt und scharf geschaltet.

Da wird gescharrt und geschaut, gepickt und gekackt, gegackert und gewühlt. Stunde um Stunde bewegt sich ein Huhn elegant im verkürzten Solo-Walzer-Wiegeschritt. Einen halben Schritt nach vorn – Scharren – einen halben Schritt zurück – Schauen – einen halben Schritt nach vorn – Aufessen (was auch immer da zutage tritt). Mit diesem immergleichen Rhytmus durchqueren sie den ganzen Garten, einträchtig nebeneinander. Jede im Takt ihrer eigenen Melodie und einem neidischen Blick, was die andere da wohl gerade verspeist. So könnte es ewig sein.

Wenn der Reis und die Schmetterlinge nicht wären …

Startschuss

Allen Hühnern eigen ist ein hochsensibles Tsunami-Früh-Warnsystem, das sie geschickt untereinander verknüpfen und zu einem weltumspannenden Netzwerk ausgebaut haben. Hühner nehmen die allerleichtesten Erschütterungen wahr und lösen eine Kettenreaktion aus. Unaufhaltsam. Weltweit. Nahezu zeitgleich.

In China fällt ein Sack Reis um – schon stürmen sie auseinander. Weswegen ich mich natürlich auch immer über die abfälligen Bemerkungen zu den Reissäcken in China ärgere! Ihr müsst bedenken, dass es allein in Deutschland 41 Millionen Legehennen gibt, fast 8 Millionen davon in Freilandhaltung und damit unmittelbar von der seismographischen Welle betroffen.

Allein die Vorstellung, wie all diese Hühner auf Alarm reagieren und das tun, was sie außer Fressen und Scharren am liebsten machen – in Panik geraten und fliehen … in höchster Geschwindigkeit.

Geschwindigkeit und Chaos

9,58 Sekungen hat Usain Bolt für 100 Meter gebraucht. Damit wurde er zum schnellsten Mann der Welt. Aber da ich ja nur Hennen habe, muss ich deren Geschwindigkeit wohl eher mit Florence Griffith-Joyner vergleichen – die war etwa eine Sekunde langsamer als Usain Bolt.

Ganz gleich – ich sag es euch: Hühner sind schneller!

Zumal sie ja nicht nur nach vorne stürmen, sondern gleichzeitig an Höhe gewinnen und in einem – anscheinend kopflosen Zickzack – überschüssige Zeit und Energie verschwenden.

Keiner weiß, wohin die Flucht geht … sicher ist – in die unterschiedlichsten, unwahrscheinlichsten Richtungen. Je mehr Hühner, desto größer die Verteilung und Verlustzahlen einzelner.

Und dennoch behaupte ich, dass sie dort viel schneller ankommen, als jede(r) andere. Eine rein wissenschaftliche oder auch „nur“ sportliche Beweisführung durch exakte Zeitmessung wird leider durch die große Leidenschaft der Hühner für das Chaos und seine Theorie deutlich erschwert.

Das Chaos der Schmetterlinge

Die Chaostheorie widmet sich nicht-berechenbaren (und damit auch nicht vorhersehbaren) Abläufen. Die minimale Veränderung der Ausgangssituation führt dann zu einem völlig anderen Ergebnis. Als Beispiel fallen mir da die „hätte-Sprüche“ ein … „Hätte der Hund nicht geschissen, hätte er den Hasen gehabt.“

Hühner lieben diese Theorie. Sie bietet so viel Abwechslung. Und sie gehen in der theoretischen Betrachtung noch einen Schritt weiter und setzen auf den „Schmetterlingseffekt“ von Edward Lorenz. Das Modell sieht den Zusammenhang des Flügelschlages eines Schmetterlings und der daraus folgenden Luftverwirbelung. Dies kann/darf/muss/soll/wird und vielleicht! der Ausgangswirbel für einen Tornado auf der anderen Seite der Erde. Ihr seht schon, die weltumspannende Vernetzung ist nicht nur bei Hühnern ein Thema. Eigentlich hängt alles miteinander zusammen. Wir Menschen wissen es nur nicht …

Übrigens: vom „Schneeballeffekt“, bei dem die Kettenreaktion sich bis zur Katastrophe verstärken kann, unterscheidet sich das Chaos der Schmetterlinge nur durch die Unvorhersehbarkeit – in wie weit sich das Chaos wirklich entwickelt und verbreitet. Aber auch das verstehen Hühner wahrscheinlich besser als wir :-).

Übrigens

Amerikanische Wissenschaftler behaupten, dass Hühner die nächsten Verwandten des Tyrannosaurus Rex sein, und haben daher verschiedene Computersimulationen ersonnen, um die Geschwindigkeit des Dinosauriers zu verifizieren. Hochgerechnet vom Huhn.

Und ihr ahnt es schon – er soll sehr schnell gewesen sein ;-).