Schlagwörter
ABC-Etüde, April, Aprilscherz, Dichterlesung, Familie, Wohnungssuche, Wunder des Alltags
„April, April“, schrie der Bruder und lachte.
Babette schaute verwirrt auf die Seife in ihrer Hand. Die Oberfläche schäumte nicht.
Der Bruder gackerte. „Wie doof du guckst“, sagte er.
„Was hast du mit der Seife gemacht?“
„Das errätst du nie.“
„Ist mir egal.“ Sie warf die Seife in den Mülleimer, griff nach dem Duschgel und wusch sich damit die Hände. Der Bruder kicherte immer noch.
Am ersten April war Babettes Bruder noch unausstehlicher als an allen anderen Tagen des Jahres. Er plante lange vorher, womit er ihr und der Mutter eins auswischen konnte.
Die Seife war heute Teil drei seiner Inszenierung. Gut, dass Babette jetzt zur Arbeit ging. Sie würde danach direkt eine Dichterlesung besuchen, nur damit sie aus dem Haus war. Leider würde sie vor Mitternacht zurück sein und weitere Scherze vorfinden.
Sie überprüfte die Bremsen, die Halterung des Sattels und alle möglichen anderen Schrauben an ihrem Fahrrad. Letztes Jahr hatte sie sich das Handgelenk gebrochen, weil der Bruder scherzhafterweise das Vorderrad gelockert hatte.
Warum fand sie nur keine eigene Wohnung? Seit drei Jahren suchte sie und kam nirgendwo unter. Nicht einmal ein WG-Zimmer hatte sie aufgetrieben. Der Bruder wollte nicht ausziehen. Er war zufrieden mit seinem Jugendzimmerchen, solange es gutes WLAN gab.
Die Mutter schlief trotz Rückenschmerzen genügsam auf dem Sofa im Wohnzimmer. Offensichtlich nahm sie es als mütterliches Schicksal hin, auf ewig zu dritt in dieser Wohnung zu hausen. Sie würde nichts ändern.
Um den Bruder loszuwerden, müsste Babette ihn an eine Frau mit Wohnung verkuppeln. Aber welche Frau würde diesen Mann aufnehmen, versorgen und ertragen? Außerdem ging der Bruder nicht unter die Leute. Er saß im Homeoffice oder spielte am Computer. Babette hatte ihm Tinder vorgeschlagen, aber er hatte abgewinkt.
Wie auch immer: Vor dem nächsten ersten April musste es eine Lösung geben.
Dies ist eine ABC-Etüde, meine zweite im März 2023. Drei Wörter mussten in einen Text von maximal 300 Wörtern eingefügt werden. Die Wörter für den März 2023 lauteten Dichterlesung, genügsam und verkuppeln und wurden gespendet von Werner Kastens und seinem Blog Mit Worten Gedanken horten.
Christiane stellt auf ihrem Blog “Irgendwas ist immer” regelmäßig eine neue Schreibaufgabe: Sie präsentiert eine Wortspende, die in einen Text zu integrieren ist, und sammelt die entstandenen ABC-Etüden. Ein vergnügliches Spiel, offen für alle, die Lust darauf haben.
Herzlichen Dank nochmals für die Inspiration, Werner und Christiane!