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Blätter; Grafik: K. PollnerZwei geschmackvolle Steingutschalen stehen auf dem schweren Holztisch.

„Wir … ich habe sie in Frankreich in einer Töpferei gekauft. Ich mag die Farben und die Schlichtheit“, sagt er entschuldigend.

Sie streicht über die Glasur an der Außenseite ihrer Schale.

„Gefällt mir gut“, sagt sie, als wäre ihre Küche voll solcher Kostbarkeiten.

„Ich habe einen Salat gemacht.“

„Oh, wunderbar. Danke.“ Wenn draußen Schnee liegt, könnte sie zu jeder Mahlzeit ein Pferd verschlingen. Sie hat Hunger, aber sie hätte mit Salat rechnen sollen.

Die Salatschüssel korrespondiert mit den Schälchen. Sie wurde auf Wunsch angefertigt und aus Frankreich nach Berlin geschickt. Kostbares Öl rinnt über die dunklen Blätter und lässt sie glänzen. Natürlich serviert er keinen Eisbergsalat. Mit einem kretischen Olivenholzbesteck hebt er ein paar Blätter hoch und lässt sie in ihr Schälchen gleiten.

Ein Tropfen Öl ist auf den Tisch gefallen. Sie verreibt das Öl mit dem Zeigefinger. Zu spät fällt ihr ein, dass es die Oberfläche verfärben könnte.

„Oh je“, sagt er. „Ich hoffe, du isst Walnüsse?“

Erleichtert sagt sie: „Ich esse alles außer Krabben.“

Er stutzt. Sie fühlt sich plump. Sie ist eine Allesfresserin, eine, die alles verwertet, was sie kriegen kann. Die mit allem zufrieden ist. In deren Küche ein verschrammter Tisch von IKEA steht, auf dem der Salat mit zwei Gabeln in Plastikschälchen gefüllt wird. Manchmal isst sie den Salat direkt aus der Schüssel.

Das hier ist nicht ihre Liga.

Er gießt Wein ein, nicht ohne besorgt zu fragen, ob er ihren Geschmack trifft.

Was sieht dieser Mann in ihr? Kann er so blind sein?

Sein Hemd ist aus Seide, kein Kunststoff könnte so magisch schimmern. Es changiert zwischen Dunkelblau und Aubergine. Sie ist versucht, den Stoff zu berühren. Er wird kühl sein, kühl wie der Salat, kühl wie die blauen Augen dieses Mannes, der sie ansieht und lächelt. Der in ihr eine andere Frau vermutet. Sie hat sich übernommen. Sie ist eine Hochstaplerin. Sie müsste ihn darauf hinweisen. Aber sie lässt ihn lächeln und lächelt zurück.

Er gabelt ein Blatt auf und führt es zum Mund. Seine Lippen sind seidig vom Öl. Sie wendet den Blick ab. Seine linke Hand liegt auf dem Holztisch, halb nach oben geöffnet. Die Handfläche ist zart und fleischig. Über dem Handgelenk beginnt die Landschaft aus Seide. Die Farbe reisst sie hin.

Auf der Manschette ist ein Fleck. Ein Öltropfen kriecht ins Gewebe. Er sollte den Fleck rasch auswaschen. Sie sagt nichts.

Sie stochert im Salat. Die Blätter sehen wie Laub aus. Bäume im Spätsommer. Eine schattige Allee. Leben Seidenraupen nicht in Maulbeerbäumen? Sie schaut in ihre Salatschüssel und sieht Raupen. Sie kann nicht essen.

„Oh nein.“ Er starrt auf den Fleck. „Ich bin ein Ferkel.“

Er springt auf, reisst das Hemd von seinem Körper. Es fließt zu Boden. Zwei Schritte zum Kleiderschrank im offenen Loft. Er öffnet die Türen und steht in einem Wasserfall aus zerknüllten Kleidungsstücken, offenbar vor ihrem Besuch hastig aus dem Blickfeld geschafft.

Mit dem Lachen kommt der Appetit.


Christiane vom Blog „Irgendwas ist immer“ schlägt alle zwei Wochen drei Wörter vor, aus denen ein kurzer Text, eine ABC-Etüde, zu schreiben ist. Der Text darf nicht mehr als 300 Wörter lang sein. Sonst bin ich kürzer, aber diesmal habe ich doll überzogen und ganze 493 Wörter geschrieben. Ich hoffe, nicht disqualifiziert zu werden. Es war heute ein Tag für längere Texte. Ich konnte nicht anders.

Die Wörter für die Textwochen 04/05 des Schreibjahres 2019 spendete Myriade vom Blog „la parole a été donnée à l´homme pour cacher sa pensée“. Sie lauten: Salatschüssel, seidig und übernehmen.

Vielen Dank an Christiane und die edle Spenderin!