Heranpirschen ans Etüdensommerpausenintermezzo II: Zwölf Worte, aus sieben soll ein Text entstehen. Ich beginne mit Zeichnen vor dem Schreiben. Wort drei: Sommerpause.
“Der Boden ist immer noch zu trocken. Wir sollten uns über jeden Tropfen freuen.”
“Ich bin keine Landwirtin, ich lebe in der Stadt und möchte im Sonnenschein spazieren gehen.”
“Egoistin.”
“Ich gehe nicht davon aus, dass die Welt davon schneller untergehen wird, dass mich Regen schwermütig stimmt. Den Klimawandel kümmert meine Gemütsverfassung wenig.”
“Dennoch könntest du dem Überleben der Menschheit die Daumen drücken.”
“Gut, ich feuere den Regen an, wenn es hilft. Musste man früher nicht für Regen tanzen? Sag mir, wie es geht, und ich tue es. Im Ernst. Wenn unsere Zukunft davon abhängt, kenne ich keine Scham.”
“Sei nicht zynisch.”
“Tut mir leid. Lass uns die Gummistiefel anziehen und in deinen Garten gehen. In Pfützen springen und nach Regentropfen haschen.”
“Siehst du die vielen Nacktschnecken? Einfach eklig.”
“Die sind wirklich überall.”
“Ich kämpfe gegen sie an, aber sie kommen immer wieder. Mistviecher.”
“Irgendwie ist das unfair.”
“Was?”
“Ihre schönen Schwestern naschen genauso viel von dem, was wir anbauen. Aber denen verzeihen wir es eher. Die Unbehaustheit der Nacktschnecken macht sie zum Ungeziefer. Hätten sie ein Haus auf ihrem Rücken, könnten wir sie besser leiden.”
“Du meinst, es ist ein Diskriminierungstatbestand?”
“Ich bin davon überzeugt.”
“Vielleicht hast du recht, aber ich finde die Dinger immer noch widerlich.”
“Sie haben eine wichtige Funktion in unserem Ökosystem.”
“Ja? Welche? Meinen Salat zu fressen, damit ich weniger Vitamine abkriege?”
“Ich habe keine Ahnung, wozu Schnecken gut sind. Aber solltest du nicht weniger egoistisch sein und dich freuen, dass sie noch so zahlreich sind?”
“Sie werden uns überleben – die sterben nicht aus.”
“Ich hoffe, der Beweis wird nicht erbracht. Zumindest nicht in den nächsten zehntausend Jahren.”
“In diesem Sinne: Auf die Schnecken mit und ohne Haus!”
“Und auf das Überleben.”
Eine ABC-Etüde zu den Wörtern: Unbehaustheit, schwermütig und naschen. Diese drei Wörter sollten in einem Text von maximal 300 Wörtern sinnvoll eingesetzt werden.
Christiane vom Blog „Irgendwas ist immer“ schlägt alle zwei Wochen neue Wörter vor und sammelt die entstandenen ABC-Etüden. Ein vergnügliches Spiel, offen für alle, die etüdisieren möchten.
Vielen Dank für die Inspiration an Christiane und Bernd!
Noch eine ABC-Etüde krame ich im Rahmen des Etüdensommerpausenintermezzos heraus. Veröffentlicht hatte ich sie ursprünglich im November 2018.
Was ist überhaupt ein ABC-Etüde? Christiane vom Blog „Irgendwas ist immer“ schlägt alle zwei Wochen drei Wörter vor, aus denen ein kurzer Text (maximal 300 Wörter) zu schreiben ist. Die Wörter waren hier: Knirps, grotesk und notieren. Gespendet hat sie Bettina vom Wortgerinnsel.
Knirps
Natürlich hatte sie ihn. Tief unten in ihrer Handtasche lauerte der kleine Schirm auf Regen. In diesem Sommer hatte sie ihn viele Wochen lang von einer Tasche in die nächste gepackt. Lag der Schirm in der Tasche, regnete es nie.
„Hast du den Knirps dabei?“
Sie hatte das für eine groteske Idee gehalten, bis sie begonnen hatte, Wetterlage und Knirpsmitnahme gewissenhaft zu notieren.
Langsam bekam sie ein schlechtes Gewissen. Der Rhein hatte historischen Tiefstand, die Frachtschiffe konnten manche Stellen nicht mehr passieren. Die Landwirtschaft forderte horrende Unterstützung vom Staat. Sollte sie dem ein Ende machen? Sie würde pudelnass werden.
„Hast du nun?“
„Wie?“
„Hast du den Schirm dabei?“
Sie wühlte in ihrer Tasche und zog den Knirps heraus. Er leuchtete in unschuldigem Himmelblau. Sie zögerte, dann stopfte sie ihn in den nächsten Mülleimer.
Bei der Überflutung der Kölner Innenstadt kam eine Woche darauf eine Rentnerin ums Leben.
Es ist Sommer und Zeit für ein Etüdensommerpausenintermezzo. Christiane vom Blog „Irgendwas ist immer“ ruft alle zwei Wochen zu einer ABC-Etüde auf: Aus drei vorgegebenen Wörtern soll ein Text entstehen, der maximal 300 Wörter umfasst. Ich liebe dieses Spiel und nehme seit einiger Zeit regelmäßig teil. Nun, in der Sommerpause, hat uns Christiane gebeten, Lieblingsetüden zu rebloggen.
Ich folge gerne ihrem Wunsch und schicke „Quest“ noch einmal in die Welt. Es könnte der Beginn einer längeren Erzählung sein. Die Wörter Regenbogen, transparent und bluten stiftete dergl von „Die Tintenkleckse sehen aus wie Vögel“. Und obwohl ich den Text am 29. Dezember 2018 schrieb, passt er leider gut in den Sommer 2019. Voilà.
Quest
Eisregen landet auf ihrer Stirn, schmilzt und rinnt über ihr Gesicht. Sommersprossen aus Kälte, die vergehen, indem sie entstehen — Kategorie einundsiebzig.
Im Land der Trockenheit erzählten die Alten vom Trommeln schwerer Tropfen. Von Flüssen, die die Ebene schluckten. Von schwerer, satter Erde. Vom See aus Gras und Blüten, der erschien und zerging. Von Linien, die die Erde in Stücke rissen und zerfielen. Bis nur der Staub blieb, der die Füße puderte und in den Augen brannte.
Das Wasser hatte sich tief in den Boden verkrochen. Nur noch trockene Äste und Dornen trugen die Büsche. Das Vieh dorrte aus und viele Kinder starben, bevor sie ihr erstes Wort sprechen konnten.
Die Jungen zogen in die Ferne, Regen zu suchen. Keiner kehrte zurück.
Sie war das erste Mädchen, das über den Sand geschickt wurde. Der Schatz hieß Überleben. Er wartete auf sie unter dem Regenbogen.
Damals wusste sie nichts von den Bändern aus Farbe, die der Himmel spannt. Jetzt, im Land des Wassers, hält sie Ausschau nach den Zeichen. Sie folgt ihnen, aber sie läuft nie schnell genug, um den Regenbogen zu erreichen, bevor er verblasst.
Sie studiert den Regen. Lässt ihn auf Händen und Gesicht landen, schmeckt und betrachtet ihn. Meist sind die Tropfen transparent, doch manchmal bluten die Wolken. Sie tragen roten Sand mit sich, Sand aus dem Land der Trockenheit. Die roten Tränen mahnen sie, nicht stehenzubleiben.
Sie geht weiter. Eine Flocke streift ihre Wange. Einsetzender Schneefall — Kategorie einhundertunddrei.
Der Tag verschwimmt. Heute gibt es keine klaren Kanten.
Licht irrt und zerspringt. Die Sekunden fließen am Fenster herab. In jedem Tropfen glitzert eine verflossene Gelegenheit.
Nieselregen ist ein weiches Wort. Es erzählt von sanftem Raunentraum. Nebel legt sich als zarter Schleier über mein Gesicht und nimmt die Tränen auf.
Ein Tag hat sich herausgespült, ist abgeflossen in die Vergangenheit. Bleib ich zurück?
Die Haut an meinen Fingerspitzen wirft Falten.
Eine ABC-Etüde zu den Wörtern: Nieselregen, weich und irren. Diese drei Wörter sollten in einem Text von maximal 300 Wörtern Verwendung finden. Der „Einsendeschluss“ war gestern, aber eigentlich ist ja noch Samstag, jedenfalls bin ich noch nicht schlafen gegangen …
Die Wörter gespendet hat Natalie mit dem Blog Fundevogelnest.
Christiane vom Blog „Irgendwas ist immer“ schlägt alle zwei Wochen neue Wörter vor und sammelt die entstandenen ABC-Etüden. Ein vergnügliches Spiel, offen für alle die etüdisieren möchten.
Vielen Dank für die Inspiration an Christiane und Natalie, die Wortspenderin!