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Einmal im Jahr wird im Texttreff gewichtelt. Wer einen Blog hat, darf ein Los in den Hut stecken und zieht dafür ein anderes heraus. Mein Los hat diesmal Heike Baller aus Köln gezogen. Sie beschreibt sich als „literaturvermittelnd tätig“, einerseits recherchierend bei Profi-Wissen, andererseits vortragend, rezensierend und moderierend bei der Kölner Leselust.
Mit Archiven kennt sich Heike Baller bestens aus. Dem Bodenlosz-Archiv hat sie einen „bodenlosen“ Wichtelbeitrag geschenkt. Herzlichen Dank! Ich wünsche viel Vergnügen beim Lesen!
Heike Baller
Bodenlos? – Kenn ich …
Das erste Gefühl bei Nina Bodenlosz‘ Schilderung ihrer Schublade ohne Boden war ein „Ach ja, kenn ich!“.
Nun bin ich keine Autorin, sondern in erster Linie Sammlerin – aber auch das muss ja irgendwie archiviert werden:
- Gelesenes
- Gehörtes
- Gesehenes
- Gefühltes
- Erdachtes
- Erschlossenes
Zu „Gelesenes“ gehören in erster Linie Bücher, klar, aber auch Zeitschriften- und Zeitungsartikel und – in den letzten Jahren vermehrt – Blogbeiträge und Postings bei Netzwerken und Foren im Internet. Da kommt im Laufe von 45 Jahren einiges zusammen. Und vieles scheint zu verschwinden, wie in einem bodenlosen Gefäß, das über einem tiefen, tiefen Loch steht – „Aus den Augen, aus dem Sinn.“
Und dann, manchmal, unerwartet, blitzartig oder schimmernd, kommt etwas davon aus dem Bodenlosen heraus ans Tageslicht.
Es gibt Situationen, die immer dieselben Sätze evozieren, z. B. beim Haarewaschen, der Halbsatz bis „sie so sauber sind, dass sie quietschen“. Ich weiß nicht mehr, wann ich auf welcher Kinderseite welcher Zeitschrift diesen Satz gelesen habe – aber immer wieder mal beim Shampoonieren kommt dieses Satzfragment wie ein Kastenteufel hoch und verschwindet wieder.
Andere, die „schimmernden“ Erinnerungen, stellen sich eher unauffällig ein, z. B. wenn ich zu einem Thema etwas sage und im Laufe des Gesprächs merke, dass ich viel mehr Einzelheiten dazu weiß, als ich vorher gedacht habe – verborgene Schätze, die den geeigneten Moment abwarten, um sich zu erschließen.
Anders geht es mir mit manchen Zitaten aus meinen Lieblingsbüchern; so führe ich quasi als geflügeltes Wort die Bemerkung von Sir James Lubbock „Ülkiger und ülkiger!“ aus den Krimis von Dorothy L. Sayers im Mund – mit der inneren Notiz: „Ärger im Bellona-Club“, erstes Viertel, eine rechte Seite, unteres Drittel (und jetzt wissen Sie auch, welches Problem ich mit E-Books habe 😉 )
Anderes, was unvermutet aus der bodenlosen Schublade hervorkommt, sind Melodien – gerne Chorsachen von vor über 30 Jahren – oder Gefühle, die durch Gerüche ausgelöst werden.
So eine Schublade ohne Boden ist schon ein tolles Archiv und steckt voller Überraschungen.
PS: Natürlich gibt es auch Dinge, die irgendwie nie zum Vorschein kommen, zumindest nicht, wenn ich mir das wünsche. Ich weiß nur: Sie sind da drin, in dem Archiv ohne Boden.
So kann ein Archiv natürlich auch aussehen
(New York Public Library; Foto: Heike Baller)
Sabine sagte:
Oh ja, gerade das mit den Chorsachen von vor 30 Jahren kenne ich. Wenn ich vermeintlich unbekannte Noten aufschlage, lossinge und feststelle: Huch, das habe ich ja schon mal geprobt! Ich wünschte nur, die Verschlagwortung in meinem inneren Archiv wäre sorgfältiger vorgenommen worden. Seufz.
Schöner Beitrag!
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