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Ich bin still geworden. Zu viel Lärm da draußen. Zu viel Gepöbel und Gebrüll. Zu viele Halb- und Scheinwahrheiten. Zu viele Lügen, die sich nicht einmal als Wahrheit verkleiden wollen. Zu viele Momente, in denen mir der Mund offen stehenbleibt.

Ich habe das Gefühl, widersprechen zu müssen. Ich liefere mir Gefechte und bin mir nicht sicher, wohin das führt. Das laugt mich aus. Ich bin nicht die Einzige.

Um zu widersprechen, muss ich die Ohren öffnen und hinhören, was da geplappert, kolportiert und mir vor den Latz geknallt wird. Ich versuche, der Vernunft und der Menschlichkeit eine Stimme zu geben. Manchmal gelingt es mir, manchmal kann ich anderen dazu verhelfen, dass es gelingt, aber immer ermüdet es mich.

Es gibt Momente, in denen sich unerwartete Koalitionen einstellen. Es gibt Tage, an denen ich mit fremden Menschen über die Absurditäten, die uns begegnen, herzlich lachen kann. Es gibt Situationen, in denen das Scheingefecht durchbrochen wird und sich Kommunikation einstellt. Das sind gute Erfahrungen.

Aber ich reibe mich auf, indem ich den täglichen Aufregungen hinterherlaufe, wieder und wieder dieselben Floskeln auf mich einprasseln lasse.

Dazu erscheinen selbsternannte Strategen auf der Bildfläche. Die vom Kampf reden, flugs in militaristisches Vokabular verfallen, die Truppen loben, steuern und einsetzen wollen. Die froh zu sein scheinen, irgendwo im Hinterstübchen, dass es wieder ein Gut und Böse zu geben scheint, Haupt- und Nebenwidersprüche, Marschrichtungen, Scheidelinien. Die mich bündeln und mir einen Weg weisen möchten.

Angesichts dessen bleiben meine Füße stehen. Ich schaue mich um. Ich wundere mich.

Es ist vieles in Bewegung. Wer auf der richtigen Seite steht und auf der falschen, scheint in einem Augenblick klar zu sein, im nächsten verwischt es sich wieder. Manchmal ist das erfrischend.

Es gibt heute genauso wenig die richtige Linie, die allgemeingültige Wahrheit, ein Wir und ein Die da wie zuvor. Auch wenn sich viele Menschen klar und deutlich auf eine Seite schlagen, auf der Vernunft, Tatsachen und Respekt nichts zu gelten scheinen. Doch selbst das Angesicht des Unmenschlichen ist komplex, wenn man innehält und es genau betrachtet. Einfachheit scheint das Universum nicht gern vorzusehen.

Ist die Welt, in der ich heute lebe, wirklich absurder, brutaler, verrückter als die, bei der ich vor ein paar Jahren schon nicht wusste, woran ich bin?

Ich glaube nicht. Klar, es geschehen Dinge, mit denen wir nicht gerechnet hatten. Auf der politischen Bühne werden absurde Theaterstücke aufgeführt, es fällt kein Vorhang und ich habe das dumme Gefühl, nicht zum Publikum zu zählen, sondern zu den Statisten, für die noch eine Rolle vorgesehen ist. Hass, Wut und Zynismus purzeln aus Mündern heraus, überziehen als Schlammlawine die Kommentarspalten. Aber all das, was passiert, war in den Verhältnissen schon angelegt. Es wird jetzt nur offenbar.

Wahrscheinlich erleben wir einen Umbruch, aber begonnen hat er schon längst. Als die Welt noch etwas leiser war. Oder es mir so schien. Als die Widersprüche aber schon genauso bestimmend waren, wenn auch die Lügen etwas indirekter und verschämter vorgetragen wurden. Was jetzt aufbricht, brodelt schon eine ganze Weile.

Was bedeutet das für mich konkret? Für mich als Schreibende? Für meine Freiheit, mich auf meinen Kern zu besinnen, nach Worten zu suchen und die Welt dafür zu verlangsamen? Das zu tun, was mich ausmacht?

Ist der Wunsch, still zu werden und genau hinzusehen, eine Flucht? Verschwende ich Kraft und Zeit auf das Unwesentliche und überlasse den „Kampf“ den anderen? Ist Kunst und Reflexion ein Luxus angesichts der Pflicht, sich im Alltäglichen aufzureiben?

Oder möchte ich es vielmehr als meine Pflicht begreifen, das zu tun, was mir am Herzen liegt?

Manchmal möchte ich mich einigeln, die Stacheln aufstellen, um  mein weiches Herz zu schützen. Vielleicht tue ich das schon. Nur halten die Stacheln auch die Menschen auf, die mit mir innehalten wollen. Die mit mir dasitzen und in die Sterne schauen möchten. Die des atemlosen, hastigen Reagierens müde sind und den Blick auf das richten wollen, was wesentlich ist. Und das sind die Worte und die Bilder und die Sterne immer: wesentlich. Sie machen mich aus, sie geben mir einen Sinn, sie erlauben es mir, mich zu wahrzunehmen. Ohne sie bin ich in der Welt ohne Kompass.

Viel spricht dafür, dass in der Stille die Lösung verborgen ist. In der Genauigkeit, in der Ehrlichkeit, im Mut zur Kreativität und Einzigartigkeit. Im Willen zur offenen Rede. Im befreienden Lachen.

Das Gebrüll da draußen ist von geringerer Dringlichkeit. Ich widerspreche weiterhin, ich stärke den anderen den Rücken. Aber ich reibe mich nicht dafür auf.

Ich bewahre mir Kraft für das Wesentliche. Um das zu tun, was mir am Herzen liegt. Wenn kein Raum dafür bleibt, wofür stehe ich dann? Was macht mich aus? Ich muss das immer wieder neu herausfinden. Und darauf kommt’s an.