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“Ich möchte Munition zum Nachladen für meinen Tacker”, sagte Svenja. Frau Schmidt aus der Materialstelle fragte „Normale?” und verschwand in den Tiefen der Regallandschaft.
“Munition? Das klingt aber sehr militaristisch”, sagte Fred, der Betriebsratsvorsitzende. Er stand in der Tür und runzelte die Stirn.
“Wie soll ich das sonst nennen? So Klemmen, aber nicht diese verwinkelten, die man oben auf den Papierbogen schiebt, sondern die Quetschteile, mit denen man den Tacker füttert, der sie dann durchs Papier schießt?”
„Es heißt Heftgerät und die kleinen Teile zum Durchschießen sind Heftklammern”, sagte Frau Schmidt, die mit einem Schächtelchen in der Hand zurückgekehrt war. „Die anderen nennt man Büroklammern.”
„Wie soll man sich das merken, wenn man nicht vom Fach ist?”
„Schießen ist übrigens auch ein militärischer Begriff”, sagte der Betriebsratsvorsitzende. “Wir müssen sensibel sein angesichts der Weltlage.”
Sicher hatte er irgendwo recht. Doch Svenja bezweifelte, dass es die weltpolitische Lage wesentlich beeinflusste, wenn sie beim Büromaterial nach Worten rang. Und gab es nicht sogar beim Weben, einem traditionellen und friedlichen Handwerk, einen Durchschuss?
„Was schlägst du statt schießen vor, Fred?“, fragte Frau Schmidt.
„Durchdrücken oder heften. Statt Munition könnte man Nachschub, nein besser Nachfüllmaterial sagen oder Heftklammern, nachdem wir jetzt alle wissen, wie es richtig heißt.“
„Wunderbar“, sagte Frau Schmidt und reichte Svenja das Päckchen. „Hier haben Sie Ihre Heftklammern für Ihr Heftgerät zum Heften. Aber heften Sie sachte, keine Gewalt!“ Sie zwinkerte.
„Man kann das ins Lächerliche ziehen“, sagte der Betriebsratsvorsitzende. „Aber der Krieg infiltriert unsere Sprache. Er rückt vor. Problematische Begriffe sind Vorposten, die einer militärischen Denkweise den Weg bereiten. Wir sollten wachsam sein, bevor uns der Militarismus überrollt.“
Svenja überlegte, ob sie sich auf ein Redegefecht einlassen sollte. Dann trat sie den Rückzug an. “Fluchtsieger” kam ihr in den Sinn. Was immer das sein mochte, es traf ihre Strategie
Dies ist eine ABC-Etüde. Drei Wörter mussten in einen Text von maximal 300 Wörtern eingefügt werden. Die Wörter lauteten Fluchtsieger, wunderbar und füttern und wurden gespendet von Ludwig Zeidler.
Christiane vom Blog „Irgendwas ist immer“ stellt alle zwei Wochen eine neue Schreibaufgabe: Sie präsentiert eine Wortspende, die in einen Text zu integrieren ist, und sammelt die entstandenen ABC-Etüden. Ein vergnügliches Spiel, offen für alle, die Lust darauf haben.
Herzlichen Dank für die Inspiration, Ludwig und Christiane! Auf ein neues Etüdenjahr!
Christiane sagte:
Minenfeld, ja, wirklich. Wehret den Anfängen, klar, aber was denn noch alles? Ich finde, Deeskalation tut not, aber nicht unbedingt primär beim Büromaterial … 🤔
(Du bist eine ganze Woche zu früh, was ist denn los? 😉 Gute Vorsätze?)
Abendgrüße 🌬️🛋️🍵🍪
Nina Bodenlosz sagte:
Hatte gar keine Vorsätze, es kam so über mich … Mal sehen, wie sich das entwickelt. Auch mit dem Büromaterial 🙂
gkazakou sagte:
Wie immer große Klasse, fein dosierte Ironie, nah am Puls der Zeit, in der man um Worte ringt, während die Ereignisse eskalieren.
Nina Bodenlosz sagte:
Danke! Ja, es ist komplex, das Richtige im Falschen zu tun oder so.
Werner Kastens sagte:
Ich glaube schon, dass da was dran sein könnte und Worte Vorboten sein können. Erinnern wir uns nur an Goebbels!
Nina Bodenlosz sagte:
Ja, da ist natürlich was dran, aber so einfach ist es dann halt auch wieder nicht. Die Sprache ist ein ziemlich komplexes Gewebe.
Viele Grüße!
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