Sie hat den Jungen immer für einen dieser Radfahrer gehalten, die kein Fleisch essen und Baumwollbeutel mit sich herumtragen, aber nun lässt er einen Autoschlüssel auf ihrem Nachttisch liegen.
Es muss ein Zeichen des Himmels sein.
Kaum ist er aus dem Zimmer, greift sie zu und schleicht sich nach unten.
Sie drückt auf den Autoschlüssel und ein schwarzer Sportwagen am anderen Ende des Parkplatzes zwinkert ihr zu.
Sie trägt noch ihre Lammfellpantoffeln, aber sobald sie aufs Gaspedal steigt, wird das keine Rolle mehr spielen.
Im Auto empfängt sie der Duft von frischem Leder, vor der Windschutzscheibe baumelt eine Diskokugel und beim Anlassen jault harte Musik auf.
Fast tut es ihr leid, diesem Benedikt das Auto zu klauen, doch dies ist ihre letzte Chance auf ein Abenteuer.
Sie schießt aus der Parklücke, schleudert auf zwei Rädern um die Kurve und nimmt die Landstraße in Angriff.
Rollatoren, schlappe Eintöpfe, Cholesterinsenker, Desinfektionsmittel und Mullbinden, all das versinkt hinter dem Horizont.
„Du bist wahnsinnig, mein Kind“, sagt sie sich, „aber nach 98 Jahren guter Manieren hast du es redlich verdient, verrückt zu spielen!“
Eine Nachschreib-ABC-Etüde für die letzte Woche, wie immer auf Einladung von Christiane vom Blog „Irgendwas ist immer“ (Schreibeinladung für die Textwoche 4.18).
Sabine vom Blog wortgeflumselkritzelkram spendierte drei Wörter für die vierte Woche dieses Jahres: Diskokugel, wahnsinnig und klauen. Daraus war eine Kürzestgeschichte zu bilden (maximal zehn Sätze).
Herzlichen Dank an beide für dieses Spiel!