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Der Faden stockte. Sie zog vorsichtig daran, aber er steckte fest. Ein Knoten hatte sich gebildet. Seufzend machte sie sich daran, ihn aufzudröseln. Der Faden war rauh. Fasern hatten sich gelöst und machten es schwer, die Stiche sauber durch den Stoff zu führen. 

Wahrscheinlich wäre es am besten, alles aufzutrennen und von vorne zu beginnen. Mit einem neuen, frischen Faden, der wie Butter durch das Gewebe glitt. 

Bei den anderen sah es immer so aus: mühelos, gleichmäßig und perfekt. Ein Stich saß exakt neben dem anderen und die Teile fügten sich lückenlos ineinander. 

Ihr Werk bestand aus groben Flicken, von unebenen Stichen zusammengehalten. Fadenenden hingen heraus und ständig platzten die Nähte auf. So sehr sie sich mühte, das Material kämpfte gegen sie. 

Man hatte sie gelehrt, auf die Details zu achten. Jeder einzelne Stich führt dich ins Himmelreich. Sie hatte nicht daran gezweifelt. Sie hatte eifrig geübt, auch wenn ihre Probestücke immer wieder von den Weisen aufgetrennt wurden. Unverdrossen nähte sie weiter, immer aufs Neue. Legte Stich neben Stich, gab sich dem Rhythmus hin. Aufzugeben wäre unverzeihlich. 

Manchmal erlaubten ihr die Weisen, tagelang weiterzuarbeiten. Ihre Nähte schienen zu genügen. Sie schöpfte Mut und arbeitete schneller. Der Hoffnungsschimmer lockte sie voran. Sie strich mit den Fingerspitzen über ihre Arbeit. Morgen würde sie das Werk vollenden. Alle Stücke hätten ihren Platz gefunden und ergäben einen Sinn. Sie ging zufrieden schlafen, im Reinen mit sich. Erwartung knisterte in ihren Gedanken, als sie erwachte. 

Auf dem Arbeitstisch lag hingeworfen ein wildes Knäuel von Garn und zerrissenen Flicken, die Nähte nicht aufgetrennt, sondern zerfetzt und zerschlissen. Quer hindurch klaffte ein wütender Schnitt, in dem noch die rostige Schere steckte, das Maul weit geöffnet.

Die anderen hockten still über ihre Arbeit gebeugt. Sie blickten nicht auf, selbst als sie schrie. Sie stießen unentwegt die Nadeln durch den Stoff, in gleichmässigem Rhythmus. Sie warteten.

Bis sie still wurde.

Bis ihre Tränen erstickten.

Bis sie sich setzte.

Bis sie den Faden durch das Öhr führte und die Nadelspitze in den ersten Flicken spießte.

Bis sie Kopf senkte und wieder im Chor mit den anderen arbeitete.

Erwartungslos. Hingegeben an die Vergeblichkeit.


Dies ist eine ABC-Etüde oder besser gesagt eine Extratüde für die fünfte Woche, die im Januar begann.

Fünf Wörter mussten in einen Text von maximal 500 Wörtern eingefügt werden. Zur Wahl standen die Wörter der Januar-Etüden, nämlich: Hoffnungsschimmer, unverzeihlich, nähen, Wackelpudding (nicht verwendet), unverdrossen, knistern. Die Wörter im Monat Januar spendeten Ludwig Zeidler und Tanja mit ihrem Blog Stachelbeermond.

Christiane vom Blog „Irgendwas ist immer“ stellt alle zwei Wochen eine neue Schreibaufgabe: Sie präsentiert eine Wortspende, die in einen Text zu integrieren ist, und sammelt die entstandenen ABC-Etüden. Ein vergnügliches Spiel, offen für alle, die Lust darauf haben.

Den Abgabetermin am 5. Februar habe ich knapp verpasst. Aber die Etüde sollte dennoch fertig werden.

Herzlichen Dank für die Inspiration, Ludwig, Tanja und Christiane!