Schlagwörter
ABC-Etüde, Gastgeschenk, Mitbringsel, Mogelpackung, Wanderpralinen
Die „Silberdistel“ an der Ecke war geschlossen. So war das in diesem Viertel, die kleinen, feinen Lädchen machten um sechs Uhr abends Feierabend. Warum hatte sie nicht damit gerechnet?
Die Blumen in der Silberdistel leuchteten übernatürlich schön im geschickt inszenierten Licht. Drei dieser faustgroßen Freilandrosen wären angemessen gewesen, geschmackvoll und kultiviert. Aber sie schaute nur durch das Fenster ins Paradies.
Sie war knapp dran. Sie wollte nicht als Letzte kommen und vor aller Augen ihr Verlegenheitsgeschenk überreichen.
Die anderen schienen immer souverän, obwohl sie über Unsicherheit klagten.
„Ich hatte gar keine Zeit, nicht einmal meine Haare kämmen konnte ich“, sagten sie, strichen eine einzelne Strähne zurück und sahen aus wie aus dem Ei gepellt. Sie brachten Köstlichkeiten mit, herzhafte Leckerbissen, Früchte aus dem eigenen Garten oder selbst gebackenes Brot.
Sie fühlte sich daneben zerrupft und verwildert. Und untüchtig natürlich. Nicht dass die anderen Kritik geäußert hätten. Die Gastgeberinnen bedankten sich stets freundlich für Supermarktblumen und abgepacktes Gebäck. All das, was sie auf die Schnelle aufgetrieben hatte, um nicht mit leeren Händen dazustehen.
Doch heute war der Tiefpunkt. Sie hatte auf die Silberdistel vertraut und diese hatte sie im Stich gelassen.
Sie löste den Blick von den prachtvollen Blumen hinter Glas. Ein paar Häuser weiter war sie angekommen. Sie setzte schon im Treppenhaus ein Lächeln auf und zog das Päckchen aus der Tasche.
Die Gastgeberin strahlte. „Das wäre doch nicht nötig gewesen.“
Das Geschenkpapier war neutral gehalten. Es sah tadellos aus. Das Kräuselband saß stramm. Dabei war das Päckchen mit Sicherheit schon durch viele Hände gegangen. Wer weiß, ob die Pralinen noch genießbar waren. Was, wenn das Päckchen sogar nur eine Mogelpackung war wie die Buchattrappen im Möbelhaus? Es blieb ihr nur zu hoffen, dass es ungeöffnet zur nächsten Person wandern würde.
Dies ist eine ABC-Etüde. Drei Wörter mussten in einen Text von maximal 300 Wörtern eingefügt werden. Die Wörter lauteten Praline, herzhaft und wandern. Gestiftet hat sie diesmal Monika mit ihrem Blog Allerlei Gedanken.
Christiane vom Blog „Irgendwas ist immer“ stellt alle zwei Wochen eine neue Schreibaufgabe: Sie präsentiert eine Wortspende, die in einen Text zu integrieren ist, und sammelt die entstandenen ABC-Etüden. Ein vergnügliches Spiel, offen für alle, die Lust darauf haben.
Herzlichen Dank für die Inspiration, Monika und Christiane!
Pingback: Etüdensommerpausenintermezzo 2021 – Hinter den Kulissen | Irgendwas ist immer
Christiane sagte:
Was für ein faszinierender Gedanke: Pralinenattrappen! Was man daraus für Krimis … 😉
Na, egal, ich bedaure deine Protagonistin. Ich kenne so ein Gefühl auch, irgendwie immer ein bisschen falsch zu sein … Hoffen wir, dass SIE die Schachtel nicht irgendwann zurückbekommt – oder dass sie sie dann aufmacht und das Geheimnis lüftet … 😀
Komm gern vorbei zum Adventüdenwörterspenden! 😉
Vergnügte Sonntagvormittagkaffeegrüße 😀
fundevogelnest sagte:
Oh wie ich diese Verfassung kenne …