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Zetermordio schreit die Elster. Sie wühlt den Blumenkasten um. Erdbrocken fallen auf den Balkonboden. Sie schaut anklagend Richtung Balkontür. Der Schatten dahinter hat sie bestohlen, sie weiß es genau. Sie schreit wieder. Dann gräbt sie mit dem Schnabel noch tiefer.

Frau Zusel lacht. Jeden Tag kommt die Elster auf den Balkon. Ihr einziger Besuch zurzeit. Frau Zusel legt Schätze aus. Die Elster kann nicht widerstehen. Alles, was glitzert, hat es ihr angetan. Sie pirscht sich an, schaut sich misstrauisch um, schnappt nach dem Schatz und trägt ihn weg. 

Anfangs hat Frau Zusel die Schätze offen ausgelegt, dann immer versteckter. Erst lag ein Blatt über dem glitzernden Köder, dann stülpte sie ein Glas darüber, das die Elster umwerfen musste, um an das Schmuckstück zu gelangen. Den letzten Ring hat sie tief im Blumenkasten vergraben. 

Manchmal ertappt sie die Elster dabei, wie sie sie beim Verstecken der Beute beobachtet. Der Vogel sitzt hinter dem Schornstein und lugt daran vorbei. Dann wieder hockt er im hohen Baum und wendet Frau Zusel scheinbar uninteressiert den Rücken zu. Doch aus dem Augenwinkel hat er alles im Blick. 

Es ist ein Spiel und es scheint beiden zu gefallen.  

Frau Zusel arbeitet von zu Hause aus und ist zumeist allein. Eigentlich macht ihr das nichts aus. Aber sie vermisst es, ins Café zu gehen oder durch die Läden zu streifen. Kino und Theater, daran versucht sie gar nicht zu denken. Sie macht das Beste draus. 

Sie hat begonnen, Brot zu backen, und wieder damit aufgehört. Einen Brotteig kann sie kneten, er geht auf oder nicht, aber die Gespräche mit ihm sind ihr zu einseitig. Sie hat im Internet eine Webcam gefunden, die das Innere eines Cafés zeigt. Ein geöffnetes Café. Wie früher. Sie hat den Lautsprecher angeschlossen, damit der Sound satter ist. Ab und zu gurgelt die Espressomaschine, sonst sind die Geräusche gedämpft. Frau Zusel weiß nicht, ob die Szenen eine Inszenierung sind. Es ist ihr egal. Das echte Leben findet zurzeit nicht statt, also nimmt sie mit der Simulation vorlieb. 

Die Elster hackt verzweifelt auf die Erde im Blumenkasten ein. Frau Zusel hat ein schlechtes Gewissen. Sie dachte, die Elster sei nicht so leicht zu erschüttern. Doch sie ist vollkommen außer sich. Frau Zusel ist eine weichmütige Frau, die keine Elster leiden sehen kann. Sie zieht ihre orange Warnweste an – warum weiß sie selbst nicht, es ist eine ironische Geste ohne Publikum – und geht auf den Balkon. Sie muss die wütende Elster mit beiden Armen vom Balkonkasten scheuchen. Sie fischt den Ring aus der Westentasche und versenkt ihn in der Erde, aus der sie ihn vorher heimlich entfernt hat. Als sie sich umdreht, schaut sie der Elster direkt in die Augen. Sie duckt sich und rennt in die Wohnung zurück. Der eisige Blick der Elster folgt ihr. Dann springt die Elster auf den Blumenkasten, zieht mit einem Schwung den goldenen Ring hinaus und fliegt davon. 

Frau Zusel bleibt zerknirscht zurück. Wird die Elster ihr verzeihen? 


Diese ABC-Etüde ist eine Extraetüde. Fünf (hier sechs) der Wörter Zetermordio, weichmütig, backen, Lautsprecher, orange (NICHT die Frucht, die Farbe) und erschüttern. Gespendet haben sie spendeten Ludwig Zeidler und Ulrike von Blaupause7.

Christiane vom Blog „Irgendwas ist immer“ stellt alle zwei Wochen eine neue Schreibaufgabe: Sie präsentiert eine Wortspende, die in einen Text zu integrieren ist, und sammelt die entstandenen ABC-Etüden. Ein vergnügliches Spiel, offen für alle, die Lust darauf haben.

Vielen Dank für die Inspiration, Ulrike, Ludwig und Christiane!