
Außenski belasten, sagte sich Klothilde. Oder musste sie ihr Gewicht auf das innere Bein verlagern? Die Ski glitten stur geradeaus. Sie fügte die Skispitzen zu einem Pflug zusammen und fuhr in Zeitlupe um die Kurve, knapp vor einem Tannenbaum. Kleine Kinder rutschten so den Hang hinab und sie selbst. Sie kam nicht über den Pflug hinaus. Aber sie hatte ohnehin nur einen Skipass für den kleinen Lift am Babyhang, wo die Anfängergruppen übten.
Ein Schatten stürzte juchzend an ihr vorbei. Ein weiterer folgte. Langgestreckte, elegante Figuren schossen die Piste entlang und wiegten sich gelassen in den Hüften. Drei Frauen flogen nicht weniger halsbrecherisch den Abhang hinab. Unten an der Talstation der Seilbahn warfen sie ihre Ski herum und kamen in einer Wolke aus Schnee zum Stehen.
Die Sonne blitzte in ihren Insektenaugen. Sie nahmen Brillen und Mützen ab, schüttelten ihre Haarmähnen aus und lachten. Die Rothaarige war vielleicht Kothildes Schulfreundin Sybille.
Später würden die Frauen in eine Bar gehen und Cocktails trinken. Es würde Lichtfunken schneien und Sybille würde tanzen, vielleicht mit einem der gazellenartigen Männer, die tagsüber die Pisten beherrschten.
Klothilde stieß sich ab und schlitterte mühsam den Hang hinab. An der Glühweinbude winkten ihre Eltern. Beide trugen lange Wollmäntel und Lederstiefel. Sie tranken Kaffee aus Plastikbechern und froren.
Abends in der mickrigen, holzvertäfelten Ferienwohnung lauschte Klothilde auf das Leben hinter den Fenstern. Betrunkene lachten, die Musik aus dem Club im Nebenhaus wummerte. Der Vater gönnte sich zum Mau Mau ein Bier. Die Mutter nahm eine Kopfschmerztablette.
Am nächsten Tag holten die Eltern den Fotoapparat heraus. Alle sollten wissen, dass ihre Tochter im Skiurlaub gewesen war. Das Foto würde herumgereicht werden, bis alle wussten, wie plump Klothilde im rosaroten Anorak ausgesehen hatte.
„Lächle“, kommandierte die Mutter und drückte auf den Auslöser.
Eine ABC-Etüde zu den Wörtern: Skiurlaub, mickrig und kommandieren. Diese drei Wörter sollten in einem Text von maximal 300 Wörtern sinnvoll eingesetzt werden.
Christiane vom Blog „Irgendwas ist immer“ schlägt alle zwei Wochen neue Wörter vor und sammelt die entstandenen ABC-Etüden. Ein vergnügliches Spiel, offen für alle, die etüdisieren möchten.
Zur ersten Runde im neuen Jahr hat sie selbst die drei Wörter gespendet.
Vielen Dank für die Inspiration! Auf zwölf kreative Monate!
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Elke H. Speidel sagte:
Erinnert mich an meine Kindheit. Nicht missverstehen – ich habe tolle Eltern. Aber meine Mutter ist eine extrovertierte Frau, die sich nicht vorstellen kann, dass ich introvertiertes Wesen an Partys, Gemeinschaftsurlauben, Gruppenausflügen und ähnlichen Unternehmungen nicht den geringsten Spaß habe. Ich musste immer mit, um es zu lernen und zu üben. Gestört hat mich vor allem die Erwartungshaltung, dass ich FREUDE daran haben sollte. Und das Fotografiertwerden! Ä-T-Z-E-N-D! Aber wenigstens herumgereicht wurden die Fotos nicht, grins.
Danke für den Erinnerungsanstoß – und ich freue mich ex post, dass ich NICHT in den Skiurlaub gezwungen wurde.
Nina Bodenlosz sagte:
Das Wort Skiurlaub war sehr erinnerungsstark, auch wenn es mir selbst nicht direkt wie Klothilde erging. Viele Grüße und danke!
Christiane sagte:
Klingt nach einem echten Albtraum. Nicht nur keinen Spaß haben, sondern dabei auch noch fotografiert werden und es toll finden müssen. Aber wenn man schon mit so einem Namen wie Klothilde geschlagen wird … (darf man das sagen?) … was soll man dann von den Eltern erwarten? 😉
Vielen Dank für deine erste Etüde des Jahres, ich zähle weiterhin mit großer Freude auf dich!
Liebe Grüße, schönen Sonntag
Christiane 😁☕🍪👍
Nina Bodenlosz sagte:
Ja, die Pubertät ist schon anstrengend und wenn man dann noch dankbar sein soll …
Ich denke, so wird aus Klothilde weder ein Skiass noch eine Stimmungskanone.
Aber ich hab mich beim Schreiben wieder erinnert, wie das Skifahren so war: das Knirschen der Steinchen unter den Skistiefeln und so weiter. Eine Reise in meine eigene Ski-Vergangenheit – nicht ganz, aber fast so schrecklich wie die von Klothilde (der Name könnte auch schön sein, wenn da nicht der Anklang wäre). Danke fürs Lesen und den Kommentar!
gkazakou sagte:
wieder so eine bodenlose Geschichte. Alle meinen es gut – höllisch gut. „Ich will ja nur dein Bestes“, sagt die Mama – und nimmt dem Kind sein Bestes: sein Selbstvertrauen, seine Zuversicht.
Nina Bodenlosz sagte:
Und dazu hat das Kind ein schlechtes Gewissen und die Eltern haben umsonst Geld ausgegeben … Eine verfahrene Situation. Wie kommt man da wieder raus?
Bodenlos.
Beste Grüße!