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Agenten, Einkaufen, Indiana Jones, Kaufhaus, Rätsel, Thriller, Wunder des Alltags
Neulich kaufte ich mir in einem Bekleidungshaus einen Pullover und einen Zehnerpack schwarze Socken. An der Kasse schaute mich die Verkäuferin verschwörerisch an und steckte mir etwas unten in die Tüte. Sonst tut das nur die Apothekerin – sie fixiert mich prüfend, hantiert unter dem Tisch und später finde ich das, von dem sie annimmt, dass ich es dringend brauchen könnte: Taschentücher, Brillenputztücher, Energie in Form von Traubenzucker und „Heiße Zitrone“.
Ich muss verwirrt dreingeblickt haben, denn die Verkäuferin im Bekleidungshaus sagte mit Nachdruck: „Ich habe ihnen da etwas mit eingepackt. Werfen Sie es nicht weg, sondern lesen Sie es!“
„Auf jeden Fall“, sagte ich, weil ihr so viel daran zu liegen schien.
Auf dem Weg nach Hause schlug mein krimigeschultes Hirn Purzelbäume. Was mochte sie mir zugesteckt haben? Einen Hilferuf? Einen Liebesbrief? Eine Losung oder ein Passwort, das natürlich nicht für mich bestimmt war, aber ich sah einer Agentin zum Verwechseln ähnlich? Würden mich bald Männer mit Schlapphüten jagen, um an die Information zu gelangen?
Zu Hause angekommen kramte ich in der Tüte und fand zwei Flyer. Wie enttäuschend. Aber da die Verkäuferin mich so dringlich darum gebeten hatte, las ich tatsächlich, worum es ging.
Das Kaufhaus lud mich zur „Ladies Night“. Schon in ein paar Tagen sollte sie stattfinden. Ich hatte eine exklusive Einladung erhalten, nein sogar zwei. Wahrscheinlich sollte ich eine Freundin mitbringen. Spontan überlegte ich, wer in Frage käme.
Aber – warum sollte ich mit einer Freundin nachts in ein Bekleidungshaus gehen? Was würde dort geboten? Auf dem Flyer standen keine weiteren Informationen, nur ein Glas Rosésekt war abgebildet.
Ich stellte mir vor, wie es wäre, eine ganze Nacht exklusiv mit einer Handvoll ausgewählter Kundinnen im Bekleidungshaus zu verbringen. Es würde wohl ein Catering geben, hoffte ich, das Sektglas sprach dafür, aber abgesehen davon wäre es eine vollkommen öde Veranstaltung. Kleider anprobieren, das konnte ich auch untertags und ohne Einladung.
Eine Nacht im Möbelhaus, das konnte ich mir ganz spannend vorstellen. Vor allem gab es da Betten und Sofas, um sich auszuruhen. Eine Nacht in einem Geschäft für Künstlerbedarf, das wäre eine tolle Erfahrung. Einmal alle Stifte und Farben ausprobieren. Oder eine Nacht in einem Feinkostladen, davon träumt man.
Ich habe vor Kurzem gelesen, dass in London ein Mann in einem großen Buchladen abends aus Versehen eingeschlossen wurde. Das muss eine besondere Erfahrung sein. Alleine mit hunderttausend Büchern. Übrigens wurde der Mann nicht von der Polizei befreit, die ihm nicht glaubte, auch nicht über das Callcenter der Buchhandelskette, das er anrief, sondern erst, nachdem er ein Selfie von sich im dunklen Buchladen bei Facebook eingestellt und dort um Hilfe gebeten hatte. Im Anschluss konnte man bei Facebook Übernachtungsplätze im Buchladen gewinnen. Eine prima Werbung. Vielleicht war der Mann nicht ganz zufällig im Laden vergessen worden.
Aber in einem Bekleidungshaus? Was sollte ich da die Nacht über tun? Alles anprobieren, was es in meiner Größe gab? Oder einmal umgekehrt alle Größen anprobieren? Hosenbeine zunähen? Einzelne Schuhe verstecken?
Auf der Einladung konnte ich keine Uhrzeit entdecken. Es hieß, ich solle im Internet nachsehen, wenn ich weitere Informationen wünschte. Ich ergoogelte einen Filialfinder, gab meine Postleitzahl ein und fand mich über dem atlantischen Ozean wieder. Die Adresse einer Filiale in Bremen war über der Markierung angegeben. Ich hatte bislang gedacht, Bremen sei mit dem Zug zu erreichen, aber vielleicht brachte ich da etwas durcheinander. Ich versuchte auf verschiedene Weise, das Kaufhaus in meiner Nähe zu finden, aber immer wieder landete ich in Bremen mitten im Nordatlantik.
Die Ladies Night suchte ich ebenfalls vergeblich. Google kannte sie nicht: Also konnte sie nicht existieren.
Vielleicht hatte ich eine sehr exklusive Einladung erhalten. Aber warum ich? Ich kaufte in dem Kaufhaus nur einmal im Jahr ein paar schwarze Socken und einen Pullover.
Hielt ich in Wahrheit die Einladung zu einer geheimnisvollen Verabredung in der Hand, bei der die erste Prüfung darin bestand, den Termin herauszufinden? Indiana Jones im Bekleidungshaus? Das wollte ich auf keinen Fall verpassen. Mein Leben lang habe ich darauf gewartet, durch Zufall in ein rätselhaftes Abenteuer verwickelt zu werden. Wenn das jetzt die Chance war, ich würde sie ergreifen.
Ich erwog kurz, ob die Markierung im Internet über dem Nordatlantik ein Hinweis auf den wirklichen Treffpunkt sein konnte. Gab es ein gesunkenes Schiff mit dem Namen Bremen? Aber da ich über kein U-Boot verfüge, verwarf ich diesen Gedanken wieder.
Ich pilgerte stattdessen an dem besagten Tag abends zum Kaufhaus. Es war normal geöffnet, Frauen und Männer gingen ein und aus. Na klar, wie dumm von mir, es würde natürlich erst nach den Öffnungszeiten losgehen. Man konnte die männlichen Kunden ja nicht einfach hinrauskomplimentieren. Die Geschäfte schienen mir sowieso nicht gut zu laufen. Um viertel nach acht kam ich nochmals vorbei. Alles war dunkel. Ich rüttelte an der Tür und spähte durch die Glasscheiben. Niemand ließ mich ein. Ich hatte genug. Ich warf die Einladungen in einen Mülleimer an der Straße und stieg aufs Rad.
Nach hundert Metern drehte ich um und fischte die Einladungen wieder heraus, obwohl mich ein Flaschensammler bedrohte, der dachte, ich würde in seinem Revier plündern. Ich hielt ihm die leicht angefeuchteten Einladungen unter die Nase, dann fuhr ich nach Hause.
Ich trage die Einladungen seitdem immer bei mir. Es kann sich nicht um eine normale Werbeaktion handeln, denn eine Ladies Night hat ja nicht stattgefunden. Geöffnet war weder nachts noch nur für Frauen. Also ist es zwingend logisch: Auf den Einladungen ist ein Mikrofilm versteckt. Und irgendwo sucht eine Horde internationaler Geheimdienstleute nach diesem Mikrofilm, den die angebliche Verkäuferin mir aus Versehen übergeben hat. Vielleicht hatte sie ihre Brille vergessen, wer weiß. Auch Agentinnen sind nur Menschen.
Ich fürchte mich nun schon seit Anfang November, aber seit heute Morgen bin ich endgültig unter die besorgten Bürgerinnen gegangen. Ich habe die Einladungen beim Frühstück noch einmal betrachtet in der Hoffnung, den Mikrofilm zu entdecken. Um auch wirklich alle Details zu erkennen, hatte ich meine Brille diesmal extra mit einem der Brillenputztücher aus der Apotheke gereinigt. Ich setzte sie wieder auf und studierte zum wiederholten Male das Kleingedruckte. Entsetzt hielt ich inne: Ganz unten in der letzten Zeile stand tatsächlich eine Uhrzeit: 15 Uhr. Ich hätte um 15 Uhr an jenem Tag in der Filiale erscheinen und den Film übergeben sollen. Wie hatte ich das übersehen können? Und es war auch der Beweis, dass die Veranstaltung nicht real war: Eine „night“, die am helllichten Nachmittag stattfinden sollte? Also ich bitte Sie!
Mit zittrigen Händen las ich das Kleingedruckte wieder und wieder. Meine Gedanken rasten. Sie hatten dort auf mich gewartet, während ich an meinem Schreibtisch gesessen und leichtfertig gearbeitet hatte. Jetzt dachten sie, ich wollte den Mikrofilm an eine andere Macht verkaufen. Oder ich hätte es längst getan. Ein Wunder, dass ich noch am Leben bin. Aber sie werden kommen.
Wenn sie an meiner Tür stehen, werde ich alles sofort aushändigen. Schließlich will ich nicht Betonschuhe angepasst bekommen oder verzweifelt durch ein Maisfeld fliehen verfolgt von giftsprühenden Flugzeugen.
Und falls mir jemand entgegenhalten möchte, dass meine Angst übertrieben ist, kann ich nur darauf hinweisen, dass es tatsächlich giftsprühende Flugzeuge in Brandenburg gibt. Gegen den Eichenprozessionsspinner nämlich. Zwar nur im Sommer, Maisfelder gibt es jetzt auch keine mehr, aber irgendwelche landwirtschaftlichen Drohszenarien werden auch im November zur Verfügung stehen. Ich bin da nicht so bewandert, aber einiges fällt mir ein: Eggen, Pflüge, Mähdrescher – ich möchte nicht näher darüber nachdenken und schon gar nichts riskieren. Grace Kelly wird mir garantiert nicht mehr das Leben retten.
Wenn es klingelt, liefere ich den Mikrofilm also ohne zu Zögern aus. Und falls zwei Geheimdienste nacheinander an der Tür läuten, habe ich zum Glück eine zweite Einladung. Das ist eine erleichternde Vorstellung.
Simone sagte:
Betonschuhe sind praktisch. Bei Wind und Wetter braucht eine Lady, die sie trägt, keine Angst haben, weggepustet zu werden.
Nina Bodenlosz sagte:
So gesehen wäre das auch bei Glatteis ein Vorteil. Nur ist man immer so lange unterwegs damit – und erst die Treppen!