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Lebenslanges Lernen klingt in meinen Ohren wunderschön. Ich bin neugierig, wissenshungrig und brauche Lernen für meine Entwicklung wie eine Pflanze das Sonnenlicht.

Aber warum konnte ich es nicht dabei belassen, Wissen im Internet aufzusaugen, Bücher zu lesen und ab und zu einen Kurs zu belegen? Nein, es musste eine Ausbildung sein, die – wie zu erwarten – in einer Prüfung gipfelt. Und natürlich musste diese Ausbildung auf einem Gebiet stattfinden, auf dem ich an meine Grenzen gehe und bisher weitgehend ahnungslos war.

In ein paar Tagen ist die Prüfung angesetzt.

Ich bin ein erwachsener Mensch. Deswegen gehe ich mit so einer Prüfung aufgeklärt und vernünftig um. Ich bereite mich angemessen vor. Ich gehe entspannt und selbstbewusst in die Prüfung, weil davon nicht mein weiteres Wohlergehen abhängt. Ich kenne meine Stärken und Schwächen und vertraue auf mich.

Pustekuchen!

Die Prüfung verwandelt mich in ein kleines Mädchen, das Bauchschmerzen bekommt, weil es sich nicht in die Schule traut. Mein Kopf ist Watte. Kaum etwas von dem, was ich verzweifelt hineinstopfe, bleibt hängen. Ich kann nicht schlafen, ich fühle mich dumm und unfähig. Die Prüfung wird zum jüngsten Gericht.  Am liebsten würde ich weglaufen und mich verstecken, bis der Termin vorbei ist.

Mein Erwachsenen-Ich steht erstaunt daneben und schaut sich die Vorstellung an. Es versucht, vernünftige Vorschläge zu machen, aber ich kann sie nicht annehmen. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, mich panisch im Kreis zu drehen und zu wundern, weil mir schwindelig ist.

Es holen mich Gedanken ein, die sich jahrzehntelang in Winkeln verkrochen hatten, weil sie nicht zum Zuge kamen. Das Wort Prüfung hat sie aufgeweckt. Sie haben in den letzten Monaten angefangen, ihre Glieder zu recken, Blut in die Flügel zu pumpen und sich zu entfalten. Jetzt sind sie hellwach und flattern um meinen Kopf.

Was habe ich früher getan in solchen Momenten, außer Bauchschmerzen zu bekommen? Ich habe so viele Prüfungen bestanden, wie ging das bloß?

Ich versuche, mich zur Ruhe zu zwingen. Ich sage mir, dass ich meinen Wert kenne und diese Prüfung kein Urteil bedeutet. Ich versuche, erwachsen zu sein. Für einen Moment gelingt es mir.

Doch das kleine Mädchen bleibt da. Es sitzt vor der Rechenarbeit und weint, weil es den Lösungsweg vergessen hat. Ich dachte, ich hätte dieses Stadium überwunden und mich weiterentwickelt wie eine Puppe zum Schmetterling. Das stimmt nicht. Das Mädchen ist ein Teil von mir.

Ich gebe ihm ein Taschentuch. Ich lege ihm die Hand auf die Schulter.

„Wir beide werden zusammen durch die Prüfung gehen“, sage ich. „Egal was geschieht. Und was soll schon geschehen.“

Die Gedanken kreisen weiter, mein Bauch tut weh, aber ich bin nicht mehr allein. Ob mir das helfen wird?